Die Entwicklungsphasen eines Hundewelpen – Teil 2
Die vegetative Phase
Der neugeborene Welpe bringt nichts anderes mit auf die Welt, als einige wenige angeborene Bewegungsweisen und die Lautäußerungen. Er gibt sofort Laut, wenn ihm irgendetwas abgeht oder unangenehm ist. Das ist sehr wichtig, denn ein solcher Laut ist wieder ein Schlüsselreiz für die Mutter – sie wendet sich sofort dem Welpen zu. Das Geschrei des kleinen Saugwelpen ist eigentlich eine Dauerleistung, die nur durch bestimmte Dinge unterbunden wird. Er wird gleich wieder still, wenn er Wärme und Anlehnung findet, sei es am mütterlichen Körper, oder inmitten seiner Geschwister. Er schreit, wenn er von seiner Zitze verdrängt wird, und beruhigt sich sofort, wenn er sie wieder hat oder eine andere findet. Dabei hilft dann oft die Mutter mit ihrer Nase, indem sie den Welpen zurechtschiebt. Besonders wichtig wird dieses Unwillensgeschrei, wenn der Welpe aus dem Lager gerät. Sofort ist die Mutter da, fasst ihn vorsichtig mit den Zähnen und legt ihn wieder ins Lager.
Welpen, die noch blind sind, kriechen niemals geradlinig, sondern immer im Kreis. Dieses Kreiskriechen ist auch eine angeborene Verhaltensweise. Sie dient dazu, den Welpen dicht am Lager zu halten.
Erstaunlich ist auch, wie gut ein Welpe gleich nach der Geburt den verhältnismäßig großen Kopf schon hochheben kann. Auch das ist wichtig. Gelangt er an den Bauch der Mutter, muss er erst die Zitzen suchen. Dazu dient ihm das „Fellbohren“, ein Hochschieben der Nase unter dem Fell. So wühlt er sich durch das Bauchfell, bis er das Gesäuge findet.
Beim Saugen selbst sind noch zwei Bewegungsweisen zu finden: Das Abstemmen mit den Hinterbeinen am Boden, um einmal an der Zitze zu bleiben, zum anderen um mit dem Kopf kräftig gegen die Milchdrüsen zu stoßen, was die Milchproduktion anregt. Dieser Aufgabe dient natürlich auch der Milchtritt.
Damit wurde alles beschrieben, was der Welpe von Geburt an kann. Das ist nicht viel, aber es genügt für die ersten zwei Wochen vollauf. In dieser Zeit ist der ganze Lebensabschnitt des Welpen auf Gewichtszunahme abgestimmt- er verdreifacht jetzt sein Geburtsgewicht. Daher besteht sein ganzer Daseinsinhalt aus Trinken und Schlafen.
Sowenig wie es einen Sozialbezug gibt, sowenig gibt es irgendein Interesse für die Umwelt, sieht man vom Gesäuge der Mutter ab, das den Mittelpunkt des frühen Welpenlebens darstellt. Der Ausdruck „Vegetativ“ für diese Phase könnte nicht besser gewählt sein. Es ist wirklich nichts anderes als eine Fortsetzung des unbewussten Lebens im Mutterleib, ein Zeitraum, der nur dem Wachstum und der Gewichtszunahme dient.
Die Übergangsphase – 3. Woche
In der Regel öffnen sich am 13. Lebenstag Lidspalten und äußere Gehörgänge, doch ändert sich damit für den Welpen zunächst noch nichts. Die Sehfähigkeit der Augen entwickelt sich erst um den 17. oder 18. Lebenstag, ist noch da recht unvollkommen und übt sich erst in den Folgetagen richtig ein. Ebenso ist es mit dem Gehör und auch die Nase scheint erst jetzt so richtig zu erwachen. Jedenfalls kann man um den 18. Tag herum beobachten, wie die Welpen nun alles mit der Nase zu untersuchen beginnen, vor allem die Geschwister, mit denen so erste Kontakte aufgenommen werden. Das erste gegenseitige Belecken kann man um den 17. Lebenstag beobachten, auch wird jetzt oft versucht, Ohren, Nase oder Pfoten der Geschwister ins Maul zu nehmen.
So verdient dieser Lebensabschnitt zu Recht seinen Namen. Es ist ein verhältnismäßig schneller Übergang vom reinen, völlig selbstbezogenen Saug- und Schlafstadium zum aktiven Entdecken der engeren Umwelt und zur ersten Kontaktaufnahme mit den Geschwistern, der erste Keim zu dem so vielschichtigen Sozialverhalten des erwachsenen Hundes.
Soziale Verhaltensweisen sind noch nicht entwickelt. Nur der Ausdruck freudiger Erregung in Form eines noch ungeschickten Wedelns mit dem kurzen Schwänzchens wird der Mutter dargebracht, wenn sie nach kurzer Abwesenheit ins Lager zurückkommt. Dann heben sich auch die Köpfe der Mutter entgegen, die Welpen versuchen ihr Maul zu erreichen.
Das ist ein bedeutsames Verhalten. Um den 18. Lebenstag beginnt die Mutter mit der Zufütterung. Sie würgt den Welpen einen Brei halbverdauter Nahrung vor. Das ist die erste große Lernleistung der Welpen, denn schon nach dem ersten Mal der Zufütterung hat der Welpe gelernt, dass es auch aus dem Maul der Eltern köstliche Nahrung gibt. So wird von nun an dem Maul der Mutter größte Aufmerksamkeit geschenkt, und die Welpen entdecken, dass man die eigene Nase besonders gut an den Mundwinkeln der Alten einbohren kann und dass diese dann oft das Maul weit öffnen und, wenn vorhanden, den bewehrten Futterbrei von sich geben.
Diese erste wichtige Erfahrung prägt bei den kleinen Welpen Verhaltensmuster für das ganze Leben aus. Das Anbetteln der zum Lager zurückkehrenden Alttiere wird zu einem Begrüßungs- und Zuneigungsritual sowohl im innerartlichen Verband, als auch dem Menschen gegenüber. Daher auch das Hochspringen des noch unerzogenen jungen Welpen.
Nun ist es aber so, dass unsere heutigen Hündinnen kein Futter mehr vorwürgen. Trotzdem Entwickeln die Welpen diese Verhaltensweise genauso.
Bis einschließlich des 20. Tages sind die Welpen immer noch an das Lager gebunden und fühlen sich in ihm so sicher und geborgen, dass sie keinerlei Angstreaktionen kennen. Greifen wir mit der Hand in den Welpenknäuel, so wird sofort die neu erworbene Fähigkeit des Erkundens eingesetzt: sie schnuppern, lecken, nehmen einzelne Finger ins Maul. Das Lager ist für sie die Welt, und alles was da hineinkommt, gehört einfach in diese Welt.
Das ändert sich spontan am 21. Tag. Da erwacht plötzlich in ihnen der Trieb, der Mutter zu folgen, und sie verlassen erstmals das Lager.
Was nun geschieht kann man nur in intakten Hundefamilien beobachten. Während die Hündin sich um die nachfolgenden Welpen überhaupt nicht kümmert, geraten die „Anverwandten“ förmlich aus dem Häuschen. Sie springen unter allen Anzeichen höchster Freude umher und versuchen, mit den Welpen zu spielen. Das geschieht nicht gerade rücksichtsvoll. Sie stupsen sie mit der Nase umher, werfen die noch recht unbeholfen laufenden Kinder mit den Pfoten um oder packen sie gar mit den Zähnen. Wenn man das zum erste Mal sieht, hat man den Eindruck, die setzen alles daran, die Welpen umzubringen.
Aber die Welpen wissen sich zu helfen. Sie werfen sich laut schreiend auf den Rücken, und in diesem Augenblick wenden sich die „Großen“ ab. Das ist die Sozialsperre, die bei normalen Hunden als Agressionshemmer zuverlässig wirkt. Die erwachsenen Rudelmitglieder wenden sich nun also von dem auf dem Rücken liegenden und schreienden Welpen ab, um sich auf einen anderen zu stürzen. Der aber läuft so schnell, als das ihn seine kurzen ungeübten Beinchen tragen können, dem vertrauten Lager zu und verschwindet darin. Bald haben sich alle Welpen hier versammelt und sind um eine große Erfahrung reicher; außerhalb des Lagers gibt es sehr unangenehme Erlebnisse, innerhalb des Lagers ist Geborgenheit. Die Erwachsenen verfolgen die Welpen nicht bis ins Lager. Ihr überschäumende Spielfreudigkeit ist sofort zu Ende. Das legt uns nahe, dass es sich um eine Erziehungsmaßnahme handelt.
Hier haben die Welpen zunächst einmal die ungeheuer große Überlegenheit der erwachsen Rudelmitglieder in ganz einschneidender, vielleicht sogar schockartiger Weise erfahren. Außerdem sehen die Welpen das Lager von diesem Zeitpunkt an, nicht mehr als abgeschnittene Welt an. Steckt man erstmals seine Hand in ein Lager von Welpen, die über 21 Tage alt sind, wird man erleben, dass sie sich ängstlich zurückziehen und sogar drohend knurren- ihre blinde Vertrauensseligkeit der Frühkindheit ist Misstrauen vor dem Unbekannten gewichen.
Literaturnachweis:
nach Eberhard Trumler aus seinem Buch:“Hunde ernst genommen”
https://www.google.com/webhp?hl=de#hl=de&q=eberhard+trumler+hunde+ernst+genommen